„Weder kann die Welle, die vorbei ist, zurückgerufen werden, noch kann die Stunde, die entschwunden ist, zurückkehren.“ schrieb Ovid vor etwa 2.000 Jahren. Dieser Grundsatz birgt gerade heute hohe Relevanz für viele Unternehmen – besonders jene, die ihre große Erfolgswelle schon länger hinter sich haben. Eines steht jedenfalls fest: irgendwann einmal gab es eine solche Erfolgswelle. Und gerade ihr Erfolg hat das heutige Wellental mitverursacht.

So warten heute viele Unternehmen auf die nächste Welle und stecken dabei in einem Konkurrenzkampf fest, in dem keiner mehr gewinnen kann – er dreht sich um Marktanteile und Kundensegmente bei gleichzeitig sinkenden Margen. Meist erwirtschaftet schon heute keines, der in solchen Situationen gefangenen Unternehmen mehr Profite. Verschlimmert wird die Situation, wenn die Betroffenen trotzdem an ihrer strukturalistischen Sichtweise von Strategie festhalten. Was das bedeutet? Wir sprechen vom sogenannten umfeldbedingten Determinismus, also der Annahme, dass alle Umstände vom Markt, wie er sich heute darstellt, bestimmt werden. Demnach formt die Marktstruktur das Verhalten von Käufern und Verkäufern durch Angebots- und Nachfragekonditionen und bestimmt so den Durchsatz.

Diese beschränkende Sichtweise müssen wir in einer Zeit der sich immer schneller wandelnden Umfeldbedingungen ablegen. Es gilt, eine rekonstruktivistische Sicht anzunehmen. Sie steht für endogenes Wachstum (i.e. von innen kommend) und die Überwindung des wettbewerbsbasierenden Denkens. Die Marktstrukturen werden somit nicht als gegeben angenommen, sondern der Fokus auf Wertinnovation und damit eine Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells gelegt.

Ford’s T-Model hat mittels erstmaliger Fließbandfertigung Wertinnovation geschaffen und dabei sowohl hohe Qualität sichergestellt als auch Bedienerfreundlichkeit realisiert – natürlich den damaligen Gegebenheiten angepasst – und dabei die Kosten auf einen Bruchteil des damaligen Preisniveaus von Automobilen gesenkt. Damit wurden nicht nur Marktpotenziale genutzt, sondern Marktgrenzen völlig neu definiert, wodurch erst das Entstehen weiterer neuer Märkte als Folge dieses neu geschaffenen Massenmarktes möglich wurde.

Eine ähnlich revolutionäre Innovation brachte Apple’s iPhone mit seinem bedienerfreundlichen Touchscreen für Mobiltelefone, der die Anwendungsmöglichkeiten und Nutzungsraten in neue Dimensionen katapultierte. Das 2007 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellte Gerät hat sich seit damals nicht nur über 700 Millionen mal verkauft, sondern neben dem gesamten Mobilfunkmarkt auch den Werbemarkt massiv verändert. Die letztgenannte Änderung ist im Übrigen nach wie vor im Gange und bereitet einigen Unternehmen zusehend mehr Kopfzerbrechen.

Welche Wertinnovation wird auf ähnliche Weise endogenes Wachstum dem eigenen Geschäftsmodell und der eigenen sowie weiteren, mit ihr verbundenen Branchen bringen? Wird es Netflix sein, das eine völlig neue Art der Programmgestaltung bringt und so die Grenzen der eigenen Branche neu zieht? Oder wirkt Tesla in diesem Sinne durch die Erhöhung der Reichweite von Autobatterien, sodass diese neue Form des Automobils echte Verbreitung findet und die ganze Industrie in seinem Erfolgs-Sog mitzieht? Vielleicht wird Outfittery mit dem Brückenschlag aus Onlinevertrieb und Beratung die gesamte Männermodewelt auf den Kopf stellen und Männern endlich das geben, was sie sich immer schon gewünscht haben: ohne viele Umwege zum individuell perfekten Outfit zu gelangen. Ob es diese Innovationen sind oder es ganz andere werden – wir werden es bald wissen…

Die Botschaft für viele Unternehmen, die mit den Herausforderungen einer sich immer schneller drehenden Veränderungsdynamik fertig werden müssen: wer nur versucht, mit den Wellen der Veränderung irgendwie fertig zu werden, wird irgendwann von ihnen überrollt. Aufgabe der Unternehmensstrategie ist es, eigene Erfolgswellen zu kreieren und sicherzustellen, dass das gesamte Unternehmen darauf richtig surft. Dazu muss das Marketing in seiner Bedeutung einen Wandel erfahren und nicht mehr nur als Organisationseinheit gesehen werden, die sich mit Werbung, PR, der Website, Facebook oder Broschüren beschäftigt, sondern Kern und Umsetzung der Unternehmensstrategie werden. Dafür ist in der Unternehmenskultur Marketingorientierung als fixer Bestandteil zu verankern – jeder einzelne Mitarbeiter muss letztlich neben seinem Fachbereich auch Marketing als seine Aufgabe verstehen und verinnerlichen.

In der Marketingstrategie liegt letztlich die Manifestierung des eigenen Geschäftsmodells – dass davon heutzutage viele obsolet sind und dringend einer Überarbeitung bedürfen, unterstreicht nur die Wichtigkeit, strategisches Marketing zu betreiben und nicht nur operatives.

Unternehmen können heute nicht mehr einfach nur auf eine nächste Erfolgswelle vom Markt warten, um darauf zu reagieren und hoffentlich mitzuschwimmen, sondern müssen selbst an die Schaffung solcher neuer Wellen gehen. Wie sagte Kelly Slater (US-amerikanischer Profisurfer) so schön: „For a surfer, it’s never-ending. There’s always some wave you want to surf.“