Fast 100 Jahre nach Gründung der ersten Werbeagenturen – sie entwickelten sich aus dem Geschäftsmodell der reinen Anzeigenvermittlung und traten als „Advertising Service Agencies“ auf – erleben wir heute einen radikalen Wandel: Ein neues Zeitalter für die ehemals glitzernde Welt der „Werber“ ist angebrochen. Durch die allumfassende digitale Revolution wird der vollständige Umbruch des Mediennutzungsverhaltens getrieben, der ein neues Agentur-Format verlangt.

Die in Zahlen erfassbare Änderung im Medienkonsum spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ist der damit einhergehende qualitative Umbruch zu beachten. Es ändert sich schlichtweg die Art und Weise, wie Menschen heute Medienangebote nutzen – der dazugehörige Fachbegriff lautet „fragmentierte Mediennutzung“. Prominentestes Opfer: Das „Leitmedium“ TV. Es wird immer mehr zum Nebenmedium, denn parallele Nutzung anderer Geräte, wie z.B. Tablets, bestätigt sich in Studien immer wieder als Tatsache. Nur die Broadcaster selbst benutzen gerne uninterpretierte, nackte Zahlen, um ihre Führungsposition weiterhin zu argumentieren – in Wahrheit nicht verwunderlich.

Aber genau diese qualitative Änderung bedeutet auch das Ende des bisherigen Agentur-Modells: Auf der Kreativität weniger Mitarbeiter basierende, oft in internationalen Netzwerken organisierte Werbeagentur-Marken, die davon leben, Kommunikation für Massenmedien zu gestalten und sich ein Eck von der hoffentlich großen Werbeetat-Torte abzuschneiden. Mit diesem Prinzip entstand übrigens auch die Wahrnehmung, dass Werbeagenturen stets fürstlich entlohnt würden, was für den Agentur-Großteil heute schlichtweg nicht zutrifft. Dennoch sind einige mit diesem Modell auch heute noch erfolgreich – die Frage ist wie lange noch.

Es ist genau diese stille Revolution: Sie stellt ganz neue Anforderungen an eine zeitgemäße Agentur. Die grundsätzlichen Regeln der Markenführung und Kommunikation haben sich zwar nicht verändert, Kanäle und inhaltliche Bedürfnisse dagegen sehr. Heute zählen glaubwürdigen Ideen bzw. Visionen und vor allem relevante Inhalte im Gegensatz zu penetrierenden Werbebotschaften. Ja, es geht dabei um Content – und seine plattformübergreifende Platzierung. Um eine Marke entsprechend positiv zu positionieren, muss die Werbebotschaft von einem relevanten Markenthema abgelöst, muss sich die Mediaplanung zu einer Planung des Kundendialogs weiterentwickeln und die Werbeagentur selbst zum Markenbotschafter werden.

Diese Markenbotschafter-Agentur hat nicht nur die Aufgabe, (Werbe-)Kampagnen zu entwerfen und umzusetzen, sondern muss durch eine Mischung aus Empathie, strategischem Know-How und kreativer Exzellenz zu einem wertvollen Partner werden. Sie muss Teil der Markenführung werden. Und in der Markenführung geht es nicht um den Firmennamen, nicht um den Slogan, nicht um das Logo. Es geht einzig um die Schaffung einer Wahrnehmung. Gestaltungsmerkmale wie Name, Slogan, Logo, Stil oder Tonalität dienen in diesem Spiel dazu, diese Wahrnehmung abzurufen. Sie existieren als Markenversprechen in den Köpfen potenzieller Kunden. Und nur sie garantieren bestimmte Erfahrungen mit der Marke.

Die Kommunikationswelt ist komplexer geworden. Wir erleben eine Zeit zunehmend individualisierter Kommunikationskanäle und fragmentierter Mediennutzung. Nehmen wir Bewegtbildinhalte: Sie sind die großen Gewinner, jedoch abseits der klassischen Kanäle – so geht eine Prognose des amerikanischen Netzwerkausstatters Cisco etwa davon aus, dass bis 2015 ca. 90% des Internettraffics durch Videonutzung verursacht werden. Deshalb bedarf es viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung, um eine Marke langfristig erfolgreich zu führen. Vision für diese neue Agenturform? Auf den Punkt gebracht muss sie in der Lage sein, sich diesen stark veränderten Rahmenbedingungen nicht nur zu stellen, sondern sie auch zu nutzen. Sie muss erfahrene Markenstrategen bieten, die zur effektiven Umsetzung ihrer strategischen und zugleich kreativen Ansätze über ein Partnernetzwerk verfügen, das sein Handwerk von der Werbekreation bis zur Social Media Kommunikation perfekt beherrscht. Dieses Modell, ein Netzwerk „bester Köpfe“ wird die großen Netzwerk-Agenturen ablösen. Wie steht es so schön unter Punkt 40 im Cluetrain Manifesto, das 1999 eine Vision des Verhältnisses von Unternehmen und Kunden im Internet Zeitalter zeichnete: „Unternehmen, die nicht zu einer diskursiven Gemeinschaft gehören, werden aussterben.“